Rezensent. Das Berliner Telefonbuch von 1941
Berlin. – Längst sind da unzählige Telefonbuch-Einträge des zwei Jahre alten Hauptwerkes nicht mehr existent. Diese Ergänzung 1943 indessen ist spärlich. 1941 sind noch 315.000 Fernsprechteilnehmer in Berlin eingetragen.
Jeder dritte Haushalt hat ein Telefon. Doch die Telefon-Bücher werden in Berlin bis zur Kapitulation 1945 gerade nach Bomben-Angriffen und Deportationen zur Suche nach Freunden, Nachbarn und Verwandten hoffnungsvoll genutzt.
Roman einer großen Stadt
Das Telefonbuch von 1941 ist Teil des Romans einer großen Stadt. Hier stehen die Telefonnummern, Privat-Adressen und Titel der Angehörigen der Wehrmachts-Generalität und der -Admiralität schwarz auf weiß: im „Amtliche(n) Fernsprechbuch für den Bezirk der Reichspostdirektion Berlin 1941″.
Die Eichmanns, Goebbels, Bormans fehlen darin. So präsentieren sich hingegen Ministerialdirigenten, Staatssekretäre und Richter, – bekannte Künstler oder renommierte Schriftleiter mit ihren Berufsbezeichnungen sowieso.
Das Telefonbuch von 1941 sei noch immer in Antiquariaten zu finden, schreibt Hartmut Jäckel in seinem im Jahr 2000 zunächst in der Deutschen Verlags-Anstalt erschienenen Buch: „Menschen in Berlin. Schicksale bekannter und unbekannter Persönlichkeiten aus dem letzten Telefonbuch der alten Reichshauptstadt 1941″.
Der Jurist Hartmut Jäckel war ab 1969 Professor für Politische Wissenschaften an der Freien Universität Berlin, von 1977 bis 1981 Staatssekretär an der Berliner Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung.
Entrée ins Gedächtnis
Die Telefonbuch-Einträge werden als Entrée ins Gedächtnis genutzt. So erinnert der Autor an die Comedian Harmonists in der Friedenauer Stubenrauchstraße. Exkurs: Just in der Nähe befindet sich heute das Grab von Marlene Dietrich, die 1939 die US-amerikanische Staatsbürgerschaft annahm und 1936 das Angebot Goebbels zur Rückkehr nach Deutschland abgelehnt hat.
1941 wohnt zum Beispiel Lale Andersen in der Cicerostraße 49, etwa zehn Minuten zu Fuß vom jetzigen Adenauer Platz und Kurfürstendamm entfernt. Die „Lili Marleen“, nach einem 1915 von Hans Leip geschriebenen Text 1938 mit Lale Andersen neu vertont, findet erst Beachtung, als Hitler halb Europa mit dem Krieg überzogen hat. Nur 700 Schallplatten sind bis 1941 von dieser Aufnahme verkauft.
Lale Andersen
Propagandaminister Goebbels lässt Andersen 1942 wissen: Sie darf nicht mehr künstlerisch tätig sein. Gegen die gebürtige Liese-Lotte Helene Berta Bunnenberg aus Bremerhaven-Lehe wird eine Pass- und Ausreise-Sperre verhängt. Ihr Umgang mit jüdischen Künstlern sei besonders würdelos. Frau Andersen unternimmt einen Selbstmordversuch – während der deutsche Soldatensender Belgrad „Lili Marleen“ seit 1941 täglich kurz vor 10 Uhr am Abend spielt. Dabei ruhen die Waffen. Empfangen wird das Programm von Narvik, nördlich des Polarkreises, bis Nordafrika.
Es hat sechs Millionen Hörer auf beiden Seiten der Fronten.
Tatsächlich ist der Plattenbestand beim Sender in Belgrad mit zunächst 60 Scheiben recht klein. Auch deshalb wird „Lili Marleen“ groß.
Ihrer beider Schatten
Goebbels lenkt 1943 ein, obwohl das Lied von „Lili Marleen“ wegen des „depressiven Textes“ und seiner „wehrkraftzersetzenden Wirkung“ vorübergehend verboten wurde. Lale Andersen darf wieder auftreten, auf keinen Fall „Lili Marlen“ singen, schon gar nicht vor Soldaten. Dabei weiß jeder, dass Lale die Lili ist (oder die Marleen, denn Hans Leip hatte zwei Frauen geliebt, bevor er 1915 zur russischen Front fuhr): „Ihrer beiden Schatten sah´n wie einer aus …!“
Die Sprache des Buches von Hartmut Jäckel ist einprägsam. Alle Kapitel sind durchaus detailreich, doch leider nur so lang, um sie vor einer Haustür zu lesen.
Das sind ein Gewinn und ein Verlust zugleich.